Tatort-Kritik: "Lass sie gehen" aus Stuttgart – Ein Fall zwischen Nähe und Distanz
Der Stuttgarter "Tatort: Lass sie gehen" (Erstausstrahlung: 26. Februar 2023) war kein klassischer Fall mit spektakulären Wendungen, sondern ein tiefgründiges Drama, das sich mit den Themen Verlust, Schuld und dem Umgang mit Trauer auseinandersetzt. Die Folge besticht durch ihre atmosphärische Dichte und die starken Leistungen des Ensembles, vor allem von Richy Müller als Thorsten Lannert und Felix Klare als Sebastian Bootz. Doch genügt das für einen überzeugenden "Tatort"? Diese Kritik beleuchtet die Stärken und Schwächen des Films.
Die Geschichte: Eine Familientragödie mit kriminalistischen Elementen
Im Mittelpunkt steht der Fall eines toten Mädchens, das im Wald gefunden wird. Die Ermittlungen führen Lannert und Bootz in die Welt einer wohlhabenden Familie, in der die Fassaden bröseln und dunkle Geheimnisse ans Licht kommen. Der Fokus liegt weniger auf der rasanten Aufklärung des Verbrechens, sondern auf den emotionalen Auswirkungen des Falls auf die Beteiligten und die Ermittler selbst. Die Handlung entwickelt sich langsam, lässt Raum für Charakterentwicklung und die Erkundung der komplexen Beziehungen innerhalb der Familie. Das ist einerseits eine Stärke, andererseits könnte die etwas gemächlichere Erzählweise einige Zuschauer abschrecken.
Stärken des Films:
- Starke Charakterzeichnung: Lannert und Bootz werden nicht nur als Ermittler, sondern auch als Menschen mit eigenen Problemen und Verletzlichkeiten gezeigt. Ihre Beziehung wird weiterentwickelt und erhält durch die gemeinsame Bewältigung des Falls neue Facetten. Die emotionale Tiefe der Figuren ist ein großer Pluspunkt.
- Atmosphärische Inszenierung: Die düstere Stimmung des Films, verstärkt durch die stimmungsvollen Aufnahmen der Stuttgarter Umgebung, trägt maßgeblich zur intensiven Atmosphäre bei. Die Musik unterstreicht die melancholische Stimmung perfekt.
- Realistische Darstellung von Trauer und Verlust: Der Film geht sensibel mit dem Thema Trauer um und zeigt die unterschiedlichen Reaktionen der Angehörigen auf den Verlust. Dies verleiht der Geschichte eine Authentizität, die beeindruckt.
Schwächen des Films:
- Langsames Tempo: Wie bereits erwähnt, könnte das gemächliche Erzähltempo für manche Zuschauer zu langsam sein. Die Spannungskurve ist nicht immer konstant hoch, und einige Szenen könnten straffer geschnitten sein.
- Offene Fragen: Einige Nebenhandlungen bleiben etwas unausgegoren und werfen Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Das kann als künstlerische Entscheidung interpretiert werden, könnte aber auch als unvollendet empfunden werden.
- Vorhersehbarkeit: Die Auflösung des Falls ist zwar nicht komplett vorhersehbar, jedoch lassen sich einige Entwicklungen im Verlauf des Films erahnen.
Fazit: Ein "Tatort" zum Nachdenken
"Lass sie gehen" ist kein klassischer Krimi im Sinne von actionreichen Verfolgungsjagden und spektakulären Wendungen. Stattdessen bietet er eine intensive Charakterstudie und eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Thema Trauer und Verlust. Die starken Leistungen der Schauspieler, die atmosphärische Inszenierung und die realistische Darstellung der emotionalen Auswirkungen des Falls machen den Film sehenswert. Obwohl das Tempo etwas langsam und die Auflösung etwas vorhersehbar ist, bleibt der Film lange im Gedächtnis und regt zum Nachdenken an. Ein gelungener "Tatort", der durch seine emotionale Tiefe überzeugt. Er ist empfehlenswert für Zuschauer, die einen tiefgründigeren und weniger actionorientierten Krimi bevorzugen.